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Querfeldein ans schwarze Meer

  • Jolien & Mirko
  • 6. Sept. 2020
  • 8 Min. Lesezeit

Wow, die Zeit rast! In unserem letzten Blogeintrag gings noch um anstrengende Passbezwingungen und Querungen durch letzte Schneefelder. Sieben Wochen und sieben Länder später war am schwarzen Meer beim besten Willen nicht mehr an Schnee zu denken. Aber fangen wir doch beim Anfang an.


Nach den unzähligen Höhenmetern in der Schweiz war es für uns ein purer Genuss die Räder einige Tage durchs Vintschgau bis runter nach Bozen rollen zu lassen. Die Landschaft war geprägt von alten Burgen, unzähligen Äpfelplantagen und wunderschönen Berggipfeln. Mit jedem sinkenden Höhenmeter stiegen die Temperaturen und in der Ebene unten angekommen realisierten wir, dass der Sommer in den Niederungen definitiv Einzug gehalten hatte. Kurzerhand wurden die geschlossenen Schuhe durch unsere sexy Teva-Sandalen ersetzt und wir genossen den kühlenden Fahrtwind um unsere Zehen. Von Bozen gings wieder leicht aufwärts entlang der alten Brenner-Eisenbahnstrecke bis nach Brixen und anschliessend via Toblach in die Sextener Dolomiten. Bereits auf den Postkarten sehen die Dolomiten atemberaubend aus, sie aber in echt zu sehen und für zwei Tage zu bewandern war ein echter Augenschmaus. Einmal mehr auf unserer Reise haben wir mit den Dolomiten einen Ort gefunden, den wir auf jeden Fall nochmals besuchen werden! Auch sprachlich war das Südtirol sehr unterhaltsam. Der südtiroler Dialekt ist dem Schweizerdeutsch ja nicht so fern, trotzdem wars nicht immer so einfach die herzlichen und gastfreundlichen Südtiroler zu verstehen. Mirko's Vergleich "Es klingt wie ein gut gelaunter aber hilflos Besoffener kurz vor dem Erbrechen!"...ist vielleicht nicht ganz so schmeichelhaft , bringts aber ziemlich auf den Punkt.

Im Anschluss an die Dolomiten orientierten wir uns für die kommenden Wochen am Flussverlauf der "Drau" und erreichten nach den ersten Tagen flussabwärts "Spittal an der Drau" in Österreich. Dort genossen wir während zwei Tagen unser viertes Wiedersehen mit Hannah, Luca und Lou. Diesmal waren auch sie wieder mit dem Velo unterwegs. Auf www.soomuchworld.jimdoofree.com kann man ihre ultraspannenden Reiseerlebnisse nachlesen. Die Drau führte uns weiter durch die schönen Täler Kärntens und entlang des bekannten und wirklich sehenswerten Wörthersees. Schade nur, dass an den kärntner Seen praktisch alle Uferzugänge privatisiert oder nur mit Bezahlung zugänglich sind. Diesbezüglich könnten sich unsere netten Nachbarn was von uns abschauen. Auch das Österreichisch hatte vor allem für Mirko wieder seine Tücken. Nach dem Studium in Salzburg agierte Jolien als Übersetzerin und so waren Wörter wie "Paradeiser", "Seitl", "Topfn" oder "Jausn" schnell enträtselt. Was bereits in Österreich auffiel, waren die unglaublich vielen Fischer entlang der Flüsse und bei jedem noch so kleinen Tümpel. Das Fischen als nationales Hobby der männlichen Bewohner würde uns noch bis zum schwarzen Meer begleiten.

Nach knapp fünf Tagen in Österreich folgten zwei recht kurze Besuche in Slowenien und Kroatien. Die gesellige Innenstadt von Maribor und viele Hopfen- und Maisfelder waren die ersten Eindrücke von Slowenien. Die Dörfer sind sehr gepflegt und jeder, wirklich jeder, hat einen wunderschönen Blumen- und Gemüsegarten. Der grüne Daumen ist aber nicht nur den Slowenen vorenthalten, sondern scheint einem im gesamten Ex-Jugoslawien und Südosteuropa in die Wiege gelegt zu werden. An der Grenze zu Kroatien wurden wir erstmals wieder an Corona erinnert. Die ID wurde gescannt und ein Zettel mit den einzuhaltenden Massnahmen abgegeben. Nach ein paar fragenden und belächelnden Gesten der Zollbeamten bezüglich unserer Fahrräder wurden wir durchgewunken. YES! Wieder einen Schritt näher an unserem erklärten Ziel, dem schwarzen Meer. Die zwei Tage in Kroatien waren ebenfalls geprägt von Mais- und Kornfeldern entlang der Drau, und von sehr freundlichen Menschen. Wir wurden kurzerhand von "Darco" zu einem morgendlichen Bier eingeladen als Dank dafür, dass wir ihm ein paar Pfirsiche abgekauft hatten. Belebt von dem halben Liter Bier um zehn Uhr morgens gings für uns weiter Richtung ungarische Grenze.

Auch hier wurden wir zuerst etwas kritisch beäugt. Die Corona-Länderliste wurde kontrolliert und da die Schweiz in Ungarn noch mit gründ aufleuchtete, wurde uns die Einreise gewährt. Empfangen haben uns diesmal nicht enden wollenden Sonneblumenfelder und kleine, sehr ruhige Dörfer. Die Qualität der Häuser und Strassen hatte im Vergleich zu den vorgängigen Ländern deutlich abgenommen. Bröckelnde Fassaden und leer stehende Häuser sieht man vor allem in den kleinen Dörfern regelmässig. Unschöne Plattenbauten "zieren" die Aussenbezirke der grösseren Orte. Die Altstädte von Pecs und Szeged hingegen sind wunderschön instandgesetzt und kulturell äusserst belebt. Die von den Habsburgern und Osmanen geprägte Geschichte Ungarns widerspiegelt sich noch heute in einer Vielzahl der Gebäude. Mit der ungarischen Bevölkerung kamen wir leider aufgrund ihrer grossen Zurückhaltung und eher kühlen Art nicht gross in Kontakt. Umso erfrischender war unser zweitägiger Aufenthalt in einer aserbaidschanischen WG in der Studentensadt Pecs. Stellt euch eine WG mit hochintelligenten, jungen Ingenieurstudenten vor, mit einem Faible für das Spiel UNO. UNO mit Regeln, die das Spiel auf ein anderes Niveau katapultieren und nur nüchtern zu meistern ist. Höhepunkt des Unterhaltungsprogramms: der menschliche Taschenrechner "Ivan". Innert drei Sekunden berechnete er jegliche mehrstellige Multiplikationen absolut fehlerfrei. Beim Einkaufen wisse er bereits vor dem Erhalt der Rechnung auf den Cent genau, was er dem Kassier schuldet....Aktionen miteinberechnet.


Nach Ungarn hatten wir ursprünglich eine Route durch Rumänien geplant. Leider stiegen dort die Coronazahlen im Schnellzugtempo, so dass wir befürchteten im Anschluss nicht mehr nach Bulgarien einreisen zu können. Statt Rumänien führte es uns also nun durch Serbien. Bereits auf den ersten Kilometern lachten und winkten uns die Menschen wieder zu und fragten uns woher wir kamen. Blieben wir an einer Kreuzung stehen, dauerte es oft nicht lange bis uns jemand seine Hilfe anbot. Die Aufgeschlossenheit der Menschen in Serbien tat uns nach Ungarn enorm gut und verlieh uns neue Energie um wieder richtig in die Pedale zu treten. Wir querten zuerst den landwirtschaftlich geprägten Nordosten des Landes. Auffallend waren die uralten Autos, Schafherden mit Hirten, illegale Mülldeponien und der aus Asien bekannte Verwesungsgeruch...einfach krass wie viele tote Tiere hier am Strassenland liegen. Zugegeben, das macht jetzt nicht gerade Lust nach Serbien in die Ferien zu fahren, aber es kommt besser! Nach der flachen, eher eintönigen Landschaft erreichten wir die Donau und folgten ihr bis zur slowenisch-bulgarischen Grenze. Die serbische Strecke entlang des zweitgrössten europäischen Flusses führt durch den Djerdap Nationalpark und ist landschaftlich als auch geschichtlich sehr eindrucksvoll. Die Donau zeigt sich hier von ihren unterschiedlichsten Seiten. Sie erscheint einerseits so breit wie ein See, andererseits befindet sich auch die engste Passage des Flusses -  das "Eiserne Tor" -  an dieser serbisch-rumänischen Grenze. Die serbische Küche ist bestimmt von Fleisch und Fisch in allen Varianten sowie einem leckeren, selbstgebrannten "Slivovic" zum Nachtisch. Ein weiteres Dessert, das nicht fehlen darf ist das heissgeliebte "Sladole", besser bekannt bei uns als Eiscrème. Jede Serbin und jeder Serbe isst davon gefühlt zehn pro Tag. Glaceschleckende und zufriedene Gesichter sind in diesem Land auf jeden Fall omnipräsent! In den Gesprächen mit der lokalen Bevölkerung wurde aber auch rasch klar, dass hinter den zufriedenen Glacégesichtern auch einige Sorgen verborgen sind. Das Land leidet wirtschaftlich noch stets unter den Folgen des Kosovokrieges Ende der 90 er-Jahre. Man erklärte uns, dass nach wie vor eine grosse Mehrheit der jungen Serbinnen und Serben aus finanziellen Gründen auswandert. Wir gesellten uns fürs Mittagessen zu einer netten Gruppe von Strassenarbeitern. Sie äusserten, dass in ihrem Dorf 80% der Einwohner im Ausland arbeiten und das dort verdiente Geld zu Hause in überdimensionierte Häuser investieren, nicht selten aus prestigeträchtigen Gründen. Zudem kämen sie nur ein- bis zweimal jährlich zurück in ihr Heimatland. Der Unmut der Arbeiter war nicht zu überhören. Diesen Sommer sei aber wegen Corona kaum jemand zurückgekehrt. Bestätigt wurden diese Aussagen durch die vielen leerstehenden Ferienhäuser die wir entlang der Donau immer wieder passierten. Den letzten Abend in Serbien verbrachten wir im beschaulichen Städtchen Negotin, dankbar für die schönen und auch denkwürdigen Erlebnisse und gespannt auf Bulgarien. Da standen wir nun also an der serbisch-bulgarischen Grenze der serbischen Grenzbeamtin gegenüber. Sie: "Euch ist schon klar, dass ihr in Bulgarien zwei Wochen in Quarantäne müsst?" Wir mit Pokerface: "Nein! Unsere Info lautet anders. Die Quarantäne gilt nicht für Schweizer." Sie schaut uns mit einem mehr als zweifelhaften Blick an und meint, wir könnten es ja gerne mal bei ihren bulgarischen Kollegen versuchen. Gesagt, getan...aber nicht ohne vorher abzusichern, dass wir wieder quarantänefrei nach Serbien zurück dürfen, falls es mit der Einreise nach Bulgarien doch nicht klappt. Der bulgarische Zöllner hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt, unsere Pässe eingelesen und uns durchgewunken...so viel zur Informationslage in Coronazeiten. Schockierend....wir denken das beschreibt unseren ersten Eindruck Bulgariens am besten. Schockierend, in welch schlechtem Zustand die allgemeine Infrastruktur, die Strassen und Dörfer sind. Schockierend wie arm die Bevölkerung ist und an wievielen Geisterfabriken und Geisterdörfer wir auf unseren ersten Kilometern vorbeifahren. Die Tatsache, dass die Bulgaren eine Todesanzeige im Dorf jeweils an jedem Baum, jeder Türe und jeder Bushaltestelle anschlagen und offensichtlich nie entfernen, erfüllt einen als Radfahrer nicht gerade mit einem Gefühl der Lebensfreude.

Die Bevölkerung im Norden Bulgariens ist bitterarm. Man verdient hier monatlich im Durchschnitt 250 Franken und lebt von der Hand in den Mund. In den Dörfern wohnen hauptsächlich alte Menschen. Man sieht nur selten spielende Kinder oder junge Erwachsene. Von Kaffees oder Restaurants ist meist keine Spur. Vor dem lokalen Minimarkt sitzen bereits mittags die ersten Angetrunkenen und gönnen sich ihre tägliche Ration "Rakia", den bulgarischen Nationalschnaps. Es war wirklich ein trauriges und perspektivloses Bild, das sich uns auf den ersten 350km durch Nordbulgarien bot. Die Perspektivlosigkeit, vor allem für die junge Bevölkerung, ist aber nicht nur im Norden sondern wie, wir noch erfahren würden, auch in anderen Landesteilen ein grosses Problem. Sie ist mit ein Grund dafür, dass anscheinend ein Drittel der Gesamtbevölkerung lieber im Ausland arbeitet. So traurig dieses Bild auch sein mag, die Menschen vor Ort sind unvorstellbar freundlich und herzlich. Es wird einem zugehupt, zugewunken und geholfen wo es geht. Wir werden zum spontanen Kaffee eingeladen und bekommen mehrmals die wohl besten Tomaten und Melonen aus dem eigenen Garten geschenkt. Immer wieder wird erfragt ob uns Bulgarien gefällt und mindestens jeder Zweite hat schon mal in der Schweiz oder Deutschland gearbeitet.  Nach 350 Kilometern entlang der bulgarischen Donau, verliessen wir den Fluss endgültig und kämpften uns für weitere vier Tage zum schwarzen Meer durch. Es war wirklich ein Kampf. Die enorme Hitze, die ewig gleichen Sonnenblumen- und Maisfelder und der nicht abflachen wollende Gegenwind machten das Erreichen der Schwarzmeerküste zu einer wahren körperlichen und nicht zuletzt mentalen Herausforderung. Wir brauchen somit nicht zu betonen, wieviele Tränen bei Jolien kullerten, als am Horizont ENDLICH das schwarze Meer zu sehen war. Wir füllten und bräunten unsere Bäuche und liessen es uns an der Küste so richtig gut gehen. Wir cruisten gemütlich der Küste entlang bis nach Burgas. Auf dieser Strecke erlebten wir ein komplett anderes Bulgarien. Um die Städte Varna und Burgas sammelten sich riesige Hotelkomplexe, Casinos und Beauty-Studios. Wir mieden diesen ganzen Trubel so gut als möglich und fanden einige wunderschöne und naturbelassene Küstengebiete. Um unser nächstes Ziel - Griechenland - erreichen zu können, mussten wir uns zur einzigen offenen Landesgrenze ganz im Südwesten Bulgariens begeben. "Nicht schon wieder 300km vertrocknete Sonnenblumenfelder!!" fluchte Mirko. Kein Problem, der bulgarische Zug tats für fünfzehn Franken inklusive Velotransport auch. Mit dem Zug in Plovdiv angekommen erlebten wir zum dritten Mal ein anderes Bulgarien. Die Stadt überraschte mit seiner lebendigen Musik- und Kulturszene sowie einer herzigen Altstadt. Bereits in Plovdiv herrschten angenehmere Temperaturen als noch an der Küste und der Blick in das nahe Rhodopengebirge machte uns klar: Wir sehnen uns nach Bergen und kühlen Temperaturen. Somit nahmen wir einige Höhenmeter in Angriff um die bulgarische Skidestination "Bansko" zu erreichen. Vieles dort - bis auf die Preise - erinnerte uns an schweizer Skiorte. Eine zweitägige Wanderung im Piringebirge mit Übernachtung in einem Biwak war ein richtiges Highlight und liess uns so eine weitere Facette Bulgariens entdecken. Wer hätte es gedacht, dass wir auf unserer Reise einen ganzen Monat in Bulgarien verbringen würden. Wir nicht! :-) Mit Bulgarien verlassen wir ein Land, dass uns in vieler Hinsicht geprägt und für viel Gesprächsstoff gesorgt hat. Dankbar für das Erlebte machten wir uns auf Richtung griechische Grenze...natürlich mit einem negativen Covid-Test im Gepäck! Ihr hört von uns! Ciao! :-)




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