"Dschei su tin ba dee" - Danke schönes Myanmar
- Jolien & Mirko
- 11. Apr. 2020
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Apr. 2020
Hallo Alle,
das Schmerzhafteste gleich zu Beginn, damit ihr im Anschluss in vollen Zügen unsere wundervollen Erlebnisse in Myanmar nachlesen könnt. Ja, wir mussten unsere Reise "coronabedingt" abbrechen. Ja, wir haben viel geheult, geflucht, waren frustriert und haben wieder geheult. In den vergangenen Wochen haben wir aber auch eingesehen, dass das Ausmass dessen was gerade auf der Welt geschieht um ein Vielfaches grösser ist als ein vorerst mal geplatzter Traum. Deshalb versuchen wir nun - wie Ihr alle auch - das Beste aus der Situation zu machen. In unserem Fall bedeutet das, dass wir gerade unsere Fotos bearbeiten, unser Gepäck umrüsten und wir uns an die Planung einer "Tour de Suisse" gewagt haben. Ziel ist es, ab Mai wieder loszufahren... mal schauen ob's dann auch klappt.
So, genug Corona-News, lieber möchten wir euch eine willkommene Abwechslung mit unseren Myanmar-Erlebnissen liefern.
Da waren wir nun also, an der Grenze zu Myanmar, begleitet von Kris, Lisa und Yun, dem Fahrradladenbesitzer aus Mae Sot. Wir wollten uns gerade von Yun verabschieden und ihm für seine grossartige Unterstützung in Mae Sot danken, als er plötzlich meinte uns die ersten Tage in Myanmar begleiten und guiden zu wollen. Wir liessen uns nicht zweimal bitten und so querten wir zu fünft die thailändisch-burmesische Grenze. Bereits auf den ersten Metern in Myanmar erreichten wir eine scheinbar andere Welt: lauter, chaotischer, farbiger, dreckiger, einfacher und faszinierender als noch wenige hundert Meter zuvor! Wir waren begeistert! Wir liessen den hektischen Grenzstadtbetrieb von Myawaddy hinter uns und fanden uns bald in Mitten des burmesischen Jungles wieder.
Zu unserem Glück hatte die thailändische Regierung in den vergangenen Jahren einiges an Geld in die Optimierung des Strassennetzes nach Yangon gesteckt und somit für den Ausbau einer Autobahn zwischen Yangon und Mae Sot gesorgt. Unser Glück, weil dadurch die alte Passtrasse zwischen Myawaddy und Kawkareik kaum mehr genutzt wird. So erhielten wir einen Einblick in kleine Bergdörfer, Klöster und die wunderschöne Natur Westmyanmars. Nach Erreichen der Passhöhe genossen wir die Abfahrt…bei stark gedrosseltem Tempo, denn die Strassenqualität ist im Vergleich zu Thailand und Malaysia massiv schlechter. Es dunkelte schon als wir auf Holperstrecken durch teils brennende Plantagen fuhren und schliesslich ein kleines Bauerndorf erreichten. Dort hatte Yun für uns bei seinen burmesischen Freunden eine Übernachtungsmöglichkeit organisiert. Wir wurden von der gesamten Familie herzlich in Empfang genommen und mit einem grosszügigen Abendessen verwöhnt. Es wurden Strohmatten für uns ausgelegt und wir verbrachten eine ruhige und erholsame Nacht nach unserem ersten ereignisreichen Tag in Myanmar. Dankbar für die beispiellose Gastfreundschaft und den einmaligen Einblick in das Zuhause der burmesischen Familie verabschiedeten wir uns am nächsten Morgen in Richtung Mawlamyine. In Mawlamyine angekommen genossen wir den wunderschönen Sonnenuntergang über dem Saluen-Fluss und beobachteten die vielen Fischer wie sie mit einfachen Mitteln ihre Boote wieder instand setzten. Es schien als wäre die Zeit in Myanmar stehengeblieben. Dieses Gefühl würde wir in den kommenden Wochen noch einige Male begleiten. Es ist einer der Hauptgründe, weshalb man Myanmar einfach mögen muss!
Am nächsten Tag trennten sich schliesslich die Wege unserer kleinen Tourengruppe und wir radelten wieder zu zweit Richtung Hpa-An, einem Städtchen bekannt für die umgebenden Karstfelsen und grossen Höhlensysteme. Mirko hatte es für einmal geschafft ein Geheimnis für sich zu behalten und somit war die Überraschung perfekt, als Luca, Hannah und Lou ebenfalls in Hpa-An aufkreuzten, um gemeinsam auf Joliens dreissigsten Geburtstag anzustossen. Mega!
Auf der weiteren Reise nordwärts wurde uns rasch klar, dass die Routenplanung mittels MapsMe oder GoogleMaps in Myanmar nicht mehr so einfach funktionieren würde. Denn mehr als einmal mussten wir erfahren, dass da doch kein «Food Store» war, es sich um eine Staub- und keine Asphaltstrasse handelte oder dass anstelle einer Autobahnbrücke ein Dreckdamm den Fluss überquerte. So war in Myanmar jeder Tag auf dem Rad ein noch grösseres Abenteuer als es das in den vorgängigen Ländern bereits gewesen war.
Myanmar ist riesig und zur Überbrückung der grossen Distanzen waren wir auf alternative Transportmittel angewiesen. Ein einmaliges Erlebnis diesbezüglich war die Zugfahrt. Im Schneckentempo, bei offenen Fenstern und Türen und mit tosendem Lärm durch das burmesische Inland rattern, das sollte man erlebt haben! Es war die reinste Holperfahrt! So holprig, dass Mirko ernsthaft zweifelte, ob wir uns tatsächlich noch auf den Gleisen befanden. Nicht weniger spannend war die Fahrt mit dem lokalen, hoffnungslos überfüllten Bus. Im Zwischengang wurden zusätzliche Sitzplätze geschaffen und das gesamte Gepäck inklusive Fahrräder wurde auf dem Dach befestigt.
Wie in Thailand ist auch in Myanmar der Buddhismus allgegenwärtig. Auch auf den unscheinbarsten Hügeln thronen goldene Buddhas, prächtige Pagoden und Tempel. Überall werden Spenden für Tempelbauten oder Renovationen eingetrieben und nicht selten spenden die Ärmsten der Bevölkerung noch das wenige Geld, das sie besitzen. Zugegeben – diese Tatsache stimmte uns das ein oder andere Mal schon etwas nachdenklich. Zu denken gab uns auch der architektonische Grössenwahn der Hauptstadt «Naypyidaw». Die achtspurige Autobahn, eine gigantische Pagode und die leer gefegten Strassen wirkten befremdlich und sind ein grotesker Kontrast zum gesamten Rest des Landes.
Trotz der seit Jahren zunehmenden Öffnung Myanmars für den Tourismus, realisierten wir sehr bald, dass wir als Radfahrer noch stets ein seltener, aber höchst willkommener Anblick sind. Die Menschen begrüssten uns überschwänglich mit «Minga la bar!» und Kinder rannten euphorisch winkend auf die Strasse. Erwachsene Frauen starrten Jolien an als käme sie von einem anderen Stern und für die schmächtigen Burmesen glich Mirko einem glatzköpfigen Arnold Schwarzenegger.
Mit Yuns Hilfe hatten wir uns einige burmesische Wortfetzen angeeignet. Das führte oft zu Lachern, bereichernden Begegnungen und gar zu kleinen Unterhaltungen. Zudem überraschte uns, wie viele vor allem ältere Burmesen ein wenig Englisch beherrschten. Ein nützliches Überbleibsel aus der englischen Kolonialzeit. Schwierig wurde die Kommunikation, egal in welcher Sprache, aber dann, wenn die Backen des Gegenübers mit Betelnuss vollgestopft waren. Getrocknete Betelnuss, es ist DAS Rauschmittel schlechthin in Myanmar. Männer, Frauen und auch viele Jugendliche kauen die getrockneten und in Blätter eingewickelten Betelnüsse fast ununterbrochen. Nebst der nikotinähnlichen Wirkung führt das Kauen auch zur erhöhten Produktion von Speichel. Dieser wird überall dorthin gespuckt wo es gerade passt und «schmückt» die burmesischen Strassen mit roten Spritzern. Wenn dann die Betelnuss mal «durchgekaut» ist, wird der Mund gründlich mit Wasser ausgespült. Hierfür nutzen die Menschen oft das Wasser aus einem der vielen, am Strassenrand aufgestellten Tongefässen. Zu jedem Gefäss gehört ein Becher, der von allen gleichermassen genutzt wird…so viel zur appetitlichen Abrundung des Betelnusskauens.
Allgemein sind die hygienischen Verhältnisse in diesem Land katastrophal. Die Menschen auf dem Land haben kaum Zugang zu fliessendem Wasser. Die abendliche Dusche wird im selben Fluss durchgeführt in dem Abfall- und Essensreste entsorgt, Kleider gewaschen und das Vieh getränkt wird. Einmal mehr auf unserer Reise wurde uns bewusst, wie privilegiert wir doch aufgewachsen sind!
So allgegenwärtig wie das Betelnusskauen sind auch die Longyis, eine Art Wickelrock für Mann und Frau. Die Frauen tragen den Longyi in knalligen Farben mit allen möglichen Mustern, während die Longyis der Männer in dezenteren Farben daherkommen. Auch Mirko wollte sich die «absolute Freiheit untenrum» nicht entgehen lassen und hat sich kurzerhand ein Männermodell gegönnt. Auch das burmesische Make-up «Thanaka» wurde ausprobiert. Es handelt sich dabei um eine Paste bestehend aus Baumrinde und Wasser. Sie wird aus kosmetischen Gründen aber auch zum Schutz vor der Sonne und Kühlung der Haut genutzt. Unser erstes «Thanaka»-Make-up bekamen wir von einer kleinen Bergdorffamilie, die uns zum Essen eingeladen hatte. Dort bekam Mirko auch gleich noch eine Longyi-Schulung, ganz zur Freude aller Damen im Haushalt!
In der letzten Woche in Myanmar haben wir unseren Reiseplan fast täglich angepasst und hatten noch bis zuletzt die Hoffnung, unsere Reise in Nepal weiterführen zu können. Am 20. März überschlugen sich aber die Ereignisse, neue Reisebeschränkungen wurden in Kraft gesetzt und wir sahen uns gezwungen, Myanmar so schnell als möglich zu verlassen. Gerne wären wir noch länger in diesem faszinierenden Land geblieben und hätten unsere Reise nach Indien fortgesetzt. Dem ist nun leider nicht so. Dafür freuen wir uns jetzt darauf unsere Heimat – die schöne Schweiz – mit dem Rad zu erkunden und werden euch wieder auf Polarsteps und diesem Blog regelmässig auf dem Laufenden halten.
…und wer weiss, wenn Corona es zulässt, dürfen wir unser Abenteuer auch ausserhalb der Schweiz noch etwas weiterführen! Hoffen ist erlaubt! Bis dann, macht's gut und bleibt gesund!
Comments